Wir wissen nicht, wie Robert Walsers (1878–1956) literarische Nachleben oder sein Nachlass ohne Carl Seelig (1894–1962) ausgesehen hätte, sicher ist aber, dass Seelig in der Überlieferung von Walsers Schriften eine zentrale Rolle gespielt hat, und damit wesentlich zu seiner Position und Rezeption in der heutigen Literaturlandschaft beigetragen hat.
Robert Walser lebte bereits seit einigen Jahren zurückgezogen in der Heil- und Pflegeanstalt Herisau, wenn Carl Seelig ihn im Jahre 1936 zum ersten Mal besucht. Ab diesem Zeitpunkt trifft Seelig den Schriftsteller regelmäßig, und sie unternehmen ausgedehnte Wanderungen in der Umgebung von Herisau. In dem kleinen Buch „Wanderungen mit Robert Walser“ dokumentiert Seelig knapp 20 Jahre der Freundschaft und Wanderungen (Spaziergänge) mit dem damals fast in Vergessenheit geratenen Walser.
Somit ist dieses Buch eine der wichtigsten Quellen für die Biographie Walsers, dessen Photos in der Regel aus der Kamera von Seelig stammen. Carl Seelig hat sich aber auch als Vormund Walsers verdient gemacht, indem er sich um seinen literarischen Nachlass gekümmert hat, der in Herisau in einer Schuhschachtel gefunden und an ihn weitergegeben wurde. Es ist durchaus möglich, dass Walsers Nachlass ohne Seelig Rolle in seinem Leben nicht überlebt hätte oder anders verwaltet worden wäre. Andererseits, wäre Seelig dem Wunsch des Schriftstellers gefolgt, und Walsers Handschriften vernichtet, dann hätte Manches an Walsers Arbeiten, um die sich Seelig so sehr gekümmert hatte, nicht überlebt. Aber durch Seeligs Ableben durch einen Unfalltod ist es anders gekommen. Dass Walser nicht in Vergessenheit geraten ist, verdanken wir der Freundschaft zwischen dem in Zurückgezogenheit lebenden Schriftsteller und Seelig, der zu dessen Vormund und später Nachlassverwalter wurde.
Die letzte im Buch dokumentierte Wanderung, sein letzter Spaziergang, den er nicht mehr beenden kann, unternimmt Walser ohne Seelig.
Dank Suhrkamp Verlag ist das Buch seit 1977 verfügbar; mittlerweile in der 16. Auflage aus dem Jahr 2019. Das Werk von Robert Walser, inklusive seiner Briefe, erscheint im Suhrkamp Verlag.
Wer sich für Walser und sein Werk interessiert, dem kann ich auch das „Robert Walser Handbuch“, erschienen 2018 im J. B. Metzler Verlag, sehr empfohlen.